Wennigsen am Mittwochnachmittag, ca. 16:52 Uhr. Ethan Del Rio Roca, berühmter
Goalgetter der Wennigser E3, kurvt, den Schulranzen auf dem Rücken, mit dem Fahrrad
durch die Stadt, um zum Treffpunkt der E3 zu gelangen. Heute geht’s nach Gehrden. Die Tour de Calenberg nimmt Fahrt auf. Nach nur einem Ruhetag soll es Freitagabend nach Egestorf, zur Germania, gehen.
Nicht viel weiter entfernt, auf dem KGS-Parkplatz, dem Treffpunkt der E3: ein paar
Erwachsene stehe herum und unterhalten sich über Stress, christliche Meditations-Songs, den Stand der Sterne und Urlaubs-Wunschpläne, während ein paar Jungs in Trainingsjacken auf den dort herumstehenden Abfallcontainern herumbalancieren. Da kommt Ethan del Rio Roca mit dem Fahrrad um die Ecke gerauscht und ruft: „Trainer, ich darf nicht spielen. Freitag auch nicht. Ich hab’ Verbot.“ Welch Hiobsbotschaft!
„Ethan, dann können wir nichts machen, wenn du nicht darfst.“ Coach Wallat überlegt. „Aber wegen Freitag sprechen wir noch.“
„Bitte, Coach, bitte, ruf meinen Vater an. Ich will spielen. Freitag. Unbedingt. Du musst mir versprechen, du rufst an.“
„Ethan, mein Freund... ich werde was versuchen - aber garantieren kann ich nichts...“
Die Gründe für Ethan’s Fußball-Verbot liegen im spekulativen Bereich. Möglicherweise sind sie auf den Schulhöfen zu suchen, auf denen Ethan offenbar für genauso Furore sorgt wie auf den Fußballplätzen dieser Welt. Ist das so? Keine Ahnung... - aber wer schießt jetzt die Tore?
Scheinbar niemand! Es steht 0:0. Eine Viertelstunde ist schon gespielt, hier in Gehrden, es geht hoch und runter, aber niemand wird so richtig torgefährlich. Ein E-Jugend-Spiel und noch kein Tor? Coach Wallat dreht sich zum Sportdirektor um: „Unser spanischer Starspieler fehlt.“
„Aber nicht nur, Coach, nicht nur. Die Aufwärmphase war zu kurz.“ „Ja, könnte sein. Die Jungs wirken nicht richtig rund.“
„Coach, das ist so, da steckst du halt nicht drin. Aber schau, die Sonne geht schon unter...“ Sportdirektor Köster lässt seinen Blick philosophisch über’s Wennigser Tor wandern. Die Aufwärmphase dauerte mangels Zeit nur ca. vier Minuten. Sie bestand passender Weise überwiegend darin, vier gegen vier auf ein Tor zu spielen...
Bis zur Halbzeit passiert nicht mehr viel. Ein Weitschuss von Johann The Rocket, den der Keeper fallen lässt. Oskar Casillas Wallat setzt nach, aber nichts... Ein anschließender Nachschuss vorn Thorben Overall knallt neben das Tor. That’s all. Halbzeitpause.
Coach Wallat, blickt seine Spieler an, überlegt, oder überlegt er nicht? Er sagt nonchalant: „Ihr spielt gut, Jungs.“
Dario Smirnov erwidert: „Coach, das stimmt nicht, wir spielen scheiße.“
„Warum? Ich mein’ hinten haben wir noch kein Goal herein bekommen.“
„Ach was, Coach. Wir spielen beschissen. Weißt du was, Coach? Wir spielen wie deine Frisur.“
Sportdirektor Köster schmunzelt und spricht: „fanatisch, nahezu dogmatisch ehrlich.“ dann betreut er den Torwartwechsel. Jo Scholz rückt ins Tor, dafür verstärkt Bent Westhoff die Abwehr.
Die zweite Halbzeit ist in vollem Gange, Bent Westhoff räumt ordentlich in Abwehr auf.
Dario und Dominik Smirnov legen wilde, Robben-ähnliche Sprints hin. Vom Gästefanblock wehen russische Fan-Gesänge herüber - aber es fällt kein Tor... Vielleicht ein 1:0 in der 90sten? Am Seitenrand sehe ich Coach Wallat auf Oskar einreden, der sich zur Einwechslung bereit macht - soll Oskar das Goal machen? Ist das der Plan? Flutsch rein. Moment, Moment... so viele Tore sind’s nicht, die ich in Oskars persönlicher Spieler-Statistik entdecken kann. Oskar Casillas ist eher für seine anhaftenden Defensivkünste bekannt. Vielleicht ist Coach Wallat heute einfach ein bisschen balla-balla?
Noch zehn Minuten zu spielen. Johann The Rocket kommt am rechten Flügel in Ballbesitz, nimmt Fahrt auf, zieht am ersten Gehrdener vorbei, hängt auch den nächsten ab wie eine lästige Fliege, rast auf die Torauslinie zu, jetzt muss sie kommen, die Flanke, und sie kommt, high-speed als Aufsetzer, und da steht jemand in der Mitte, meine Güte, nein, Oskar Casillas Klebstoff steht mitten vor dem Tor! Und der Ball zappelt im Netz. Tor. Tor. Tor! Wennigsen dreht durch. Die Mannschaft flippt aus. Oskar jubelt und strahlt. Coach Wallat schwebt über der Rasenfläche. Wie ein Raumschiff. Yeah, yeah, yeah - das war Oskar James Rodrigues, der das Ding mit dem Knie macht, das war Oskar Gold, der das Ding reinzimmert...
Nachspielzeit. Zweite Minute der Nachspielzeit. Der Gehrdener Coach hat seinen zentralen Abwehrspieler nach vorne geschickt. Wennigsen hat The Rocket ausgewechselt und Dario Smirnov als zusätzlichen 6er gebracht. Gehrden drückt. Gehrden will es wissen, Gehrden hat am rechten Flügel den Ball, spielt in die Mitte -... ist das jetzt ein Dejavu? Träume ich schlecht? Wie gegen Wilkenburg. Der Ball rollt durch alle vier Wennigser Abwehrspieler durch - und hinten wartet eine Gehrdener. In der allerletzten Minunte - oh no... Das soll doch nicht sein. Das darf so nicht sein... Keeper Jo Scholz jagt raus, grätscht, trifft den Ball, und alles ist gerettet! Jo, du bist ein Held! Du bist ein Held. Der Ball gelangt nach vorne und das war’s. Sieg. 1:0. Auswärtssieg!
„Wir haben gewonnen, weil zweite Halbzeit die Sonne weg war,“ Rick „The Eye“ Pirkner, auch heute der zuverlässigste Defensivmann, unterhält sich nach dem Spiel analysierend mit dem Sportdirektor, „wir wussten, wir wussten ganz genau: nach der ersten Hälfte geht die Sonne unter. Unsere Platzwahl war richtig. Unsere Idee war gut. Wir haben erst mit der Sonne gespielt. Und zweite Hälfte war sie weg.“ Rick lächelt, strahlt über das gesamte Gesicht und nimmt einen Schluck Wasser aus seiner Flasche. Auch die anderen Wennigser Jungs machen einen lockeren Eindruck, so auf dem Weg in die Kabinengänge. Vor allem Oskar lächelt genüsslich.
Aber auch die Gehrdener Jungs, wie ich meine, haben sich für diesen Fight einen Applaus verdient.
Bis demnächst. Es grüßt,
Menotti
